Tübinger Tierversuchskommission: Kritische Stimmen offensichtlich nicht erwünscht - Landestierschutzverband Baden-Württemberg
Tübinger Tierversuchskommission: Kritische Stimmen offensichtlich nicht erwünscht
von Redaktion LTschV-BW

Tübinger Tierversuchskommission: Kritische Stimmen offensichtlich nicht erwünscht

(Bild: Copyright Deutscher Tierschutzbund e.V.)

Zur turnusmäßigen Neuberufung der ersten Tierversuchskommission am Regierungspräsidium Tübingen wurden die drei von Tierschutzorganisationen vorgeschlagenen Tierschutzvertreter*Innen, die bereits als ordentliches Mitglied sowie als Stellvertreter bislang in der Kommission tätig waren, nicht mehr berücksichtigt.

Immer noch ist Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich bei der Durchführung von Tierversuchen ganz vorne mit dabei. Die meisten Tierversuche werden dabei im Bereich der Grundlagenforschung durchgeführt, also ohne direkten Bezug zu medizinisch relevanten Forschungszwecken.
Wie viele Tierversuchsanträge in Baden-Württemberg alljährlich gestellt werden, zeigt sich uns auch indirekt im Rahmen unserer Aufgabenwahrnehmung für das Tierschutzverbandsklagerecht [1].
Bei fast jedem zweiten Antrag, den die mitwirkungsberechtigten Tierschutzorganisationen nach TierSchMVG zugeleitet bekommen, handelt es sich um einen hierzulande bereits genehmigten Tierversuch [2].
Eine echte Mitwirkung im Vorfeld ist den drei nach § 5 TierSchMVG anerkannten Verbänden bei Tierversuchsanträgen jedoch nicht möglich. Dies wurde unter anderem dadurch begründet, dass der Tierschutz bereits in den beratenden Kommissionen beteiligt sei, die an den 4 Regierungspräsidien im Land speziell für die Genehmigung von Tierversuchen eingerichtet sind.

Auch wenn es hierzulande politisch gewollt scheint, diese Beratungsgremien paritätisch mit Vertretern aus der Wissenschaft und von Tierschutzorganisationen zu besetzen [3], und bspw. das RP Tübingen dies seit 2020 auch versucht umzusetzen, hat dies auf die Genehmigungspraxis kaum Einfluss. So gut wie kein Tierversuchsantrag wird von den Behörden abgelehnt.
Diese traurige Tatsache hat sich gerade vor kurzem wieder am Beispiel der höchst fragwürdigen Affenversuche in Bremen bestätigt. Dort dürfen die hochbelastenden Primatenversuche trotz Veto des Hamburger Senats erst einmal weiter durchgeführt werden [4] .

Die neuesten Entwicklungen am RP Tübingen deuten außerdem darauf hin, dass man dort die Mitarbeit und Einwendungen von Fachleuten aus Tierschutzkreisen in den Tierversuchskommissionen als unbequem zu empfinden scheint. So wurde dort im Rahmen der Neuberufung für 2023 ein vom Landestierschutzverband schon 2011 als Kandidat vorgeschlagener Biologe und Bioethiker nicht mehr neu berufen, obwohl er als seitdem bewährtes ordentliches Kommissionsmitglied auch weiterhin bereit war, ehrenamtlich mitzuarbeiten.
Stattdessen zeichnet sich ein deutlicher Trend ab, dass die „Tierschutzseite“ der Beratungskommissionen von den Genehmigungsbehörden immer häufiger gezielt mit Tierärzten der TVT (Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V.) besetzt werden. Es ist zu vermuten, dass davon ein Großteil dem TVT-Arbeitskreis 4 „Tiere im Versuch“ angehört, dem jedoch vorwiegend Tierärzte angehören, die selbst im Tierversuch arbeiten. Aus unserer Sicht sind diese in der Funktion als „Tierschutzvertreter“ der Tierversuchskommissionen nicht unbedingt die erste Wahl.

In einem Offenen Brief vom 14. November an das RP Tübingen kritisieren unser Kandidat und die beiden bisherigen stellvertretenden Tierschutzkolleg*Innen die Kommissions-Besetzungspolitik des RP und argumentieren, dass eine Ausgewogenheit nur dann bestehe, wenn verschiedene Interessen die Möglichkeit hätten, in der Kommission berücksichtigt zu werden.

Stefan Hitzler, Vorsitzender des Landestierschutzverbands sieht sich aufgrund dieser Entwicklung in seiner Auffassung bestätigt, dass gerade im Bereich der Tierversuche die Berücksichtigung von Tierschutzanliegen sowie die Beurteilung der Unerlässlichkeit und eine echte Abwägung der ethischen Vertretbarkeit von geplanten Tierversuchen nach wie vor nicht wirklich gewollt sind: „Tierschützer lehnen Tierversuche grundsätzlich ab. Deshalb ist die Mitarbeit in den beratenden Kommissionen für sie sehr belastend. Zwar können im Einzelfall möglicherweise Maßnahmen wie eine Reduktion der Tierzahlen oder der Einsatz schonenderer Versuchsmethoden erreicht werden, aber kaum ein Tierversuch lässt sich durch diese Arbeit verhindern,“ so seine trockene Bilanz. „Derzeit haben die Genehmigungsbehörden keinen Ermessensspielraum, Tierversuchsvorhaben, die sie nicht für unerlässlich und ethisch vertretbar halten, abzulehnen, wenn diese formal vom Antragsteller korrekt gestellt wurden. Diese Rechtsauslegung führt das gesamte Genehmigungsverfahren u.E ad absurdum. Wie auch unser Bundesverband, der Deutsche Tierschutzbund, lehnen wir deshalb eine Mitarbeit in diesen beratenden Kommissionen weiterhin ab und empfehlen dies auch unseren Mitgliedsvereinen.“


Hintergrund:
Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zu den Affenversuchen des Bremer Forschers Andreas Kreiter vom 20.01.2014 (BVerwG 3 B 29.13) in Verbindung mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen (OVG 1 A 180/10; 1 A 367/10) bekräftigt in seiner Begründung, dass Genehmigungsbehörden keine eigene Bewertung der Bedeutung des Forschungsvorhabens oder ob das Versuchsziel nicht mit anderen Methoden als dem Tierversuch erzielt werden kann, d.h. in diesem Zusammenhang die Prüfung der Unerlässlichkeit, vornehmen dürfen.
Hier sind sie auf eine reine Plausibilitätskontrolle beschränkt, d.h. sie können nur prüfen, ob der Antragsteller den möglichen Nutzen der Tierversuche wissenschaftlich begründet dargelegt hat. Gemäß EU-Richtlinie Artikel 38 u. 39 soll zwar bei Tierversuchsanträgen sowohl eine ethische Bewertung des Versuchsantrag erfolgen als auch die voraussichtliche Schädigung des Tieres gegen den zu erwarteten Nutzen des Projekts abgewogen werden. Aus der Sicht des Deutschen Tierschutzbundes ist es aufgrund der o.g. höchstrichterlichen Entscheidung jedoch überhaupt nicht möglich, eine eigenständige und unabhängige Kosten–Nutzen Abwägung, d.h. eine Bewertung der ethischen Vertretbarkeit und Unerlässlichkeit durchzusetzen.
Im Beschluss wird darüber hinaus klargestellt, dass durch die Änderung des Tierschutzgesetzes (TierSchG) von 2013 Behörden ein Tierversuchsvorhaben genehmigen müssen, wenn der Antragsteller die Erfüllung der im Tierschutzgesetz genannten Bedingungen wissenschaftlich begründet dargelegt hat. Das Genehmigungsverfahren für Tierversuchsvorhaben wird damit endgültig zur Farce.
(Aus der Stellungnahme des Deutschen Tierschutzbunds zum Rücktritt aus den beratenden Kommissionen nach§ 15 Tierschutzgesetz)

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[1] https://www.tierschutzverbandsklage-bw.de

[2] https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP16/Drucksachen/4000/16_4396_D.pdf

[3] https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP16/Drucksachen/8000/16_8235_D.pdf

[4] https://www.tierschutzbund.de/ueber-uns/aktuelles/presse/meldung/bremer-affenversuche-laufen-trotz-senatsentscheid-weiter

 

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